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Dienstag, 13. September 2016

Von Teekannen und anderen Märchen

Zwischen Erde und Mars kreist eine Teekanne um die Sonne, eine aus Porzellan und bis obenhin gefüllt. Was, das glaubst du nicht? Ich auch nicht. Die Existenz eines solchen Gefässes kann auch mit dem stärksten Teleskop nicht nachgewiesen werden. Genauso wenig wie das Gegenteil.



Nehmen wir einmal an, mein Nachbar glaubt seit seiner Kindheit an diese Teekanne. Schon seine Eltern haben ihm davon erzählt und beide waren selber von ihrer Existenz überzeugt. Jeden Sonntag spricht mein Nachbar mit seiner Teekanne und trinkt einen schluck Tee zu ihren Ehren. Einen Krug kauft er sich aber nicht, denn von der Teekanne soll man sich kein Bildnis machen. Du ahnst es schon, mein Nachbar hat eine Schraube locker. Oder hat er einfach nur seine eigene Religion?

Das Gedankenexperiment mit der Teekanne stammt  aus einem Aufsatz des englischen Mathematikers und Philosophen Bertrand Russell (deswegen heisst es „Russell’s tea-pot“) aus dem Jahr 1952. Mit dieser Geschichte will er verdeutlichen, dass es an den Gläubigen liegt, einen Gottesbeweis zu erbringen und nicht an den Zweiflern, seine Nichtexistenz zu belegen.  

Milliarden von Menschen glauben an einen Gott, den der Duden als
höchstes übernatürliches Wesen, das als Schöpfer Ursache allen Geschehens in der Natur ist, das Schicksal der Menschen lenkt, Richter über ihr sittliches Verhalten und ihr Heilsbringer ist
definiert. Niemand kann die Existenz eines solchen Wesens beweisen und doch sind Generationen von Menschen im Glauben an einen Gott aufgewachsen, haben in seinem Namen Kriege geführt, Andersdenkende gefoltert und als Ketzer verbrannt und unzählige Gläubige zu Sündern gemacht, wenn sie von den Regeln der jeweiligen Religion abwichen. In unseren Breitengraden ist der Glaube in grossen Teilen einer „Ich-Weiss-Es Nicht“-Attitüde gewichen. Es sind die Agnostiker, die zwar nicht mehr buchstabengetreu nach der Bibel leben, aber auch nicht ausschliessen, dass es irgend eine höhere Macht gibt, die alles erschaffen hat. Wer, bitte schön, hat dann diese höhere Macht erschaffen? 
Immer wieder ist mir zu Ohren gekommen, die Natur sei doch Gott. Der Duden definiert Natur allerdings ganz anders, nämlich unter anderem als
alles, was an organischen und anorganischen Erscheinungen ohne Zutun des Menschen existiert oder sich entwickelt.

Der Agnostiker sagt also: Ich weiss es nicht. Tatsächlich wissen wir nicht, ob ein Teekessel um die Sonne kreist oder nicht. Jeder mit klarem Verstand würden das aber als Unsinn abtun. Weshalb zieht dann ein Christ die unbefleckte Empfängnis in Betracht, oder die Himmelfahrt Jesu? Wie können vernünftige, gebildete Menschen an die Existenz des Teufels glauben und daran, dass die Guten in den Himmel kommen und die Bösen in die Hölle? Mir scheint dies alles ebenso unwahrscheinlich wie die Teekanne im All. Und doch gibt es viele, die sagen: Ich weiss es nicht.


Während ich dies hier aufschreibe, dreht die Teekanne unbeirrt ihre Bahn um die Sonne und mir bleibt nur eins: abwarten und Tee trinken, bis sich jemand die Mühe nimmt, diesen Beitrag zu kommentieren.