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Sonntag, 27. November 2016

Kant und Kaffee

Aus aktuellem Anlass habe ich ein Essay aus meiner Studienzeit vor zehn Jahren ausgegraben. Ich bin entsetzt, wie die Menschen sich heute um die Wahrheit foutieren und sich nicht einmal mehr die Mühe machen, die über die sozialen Medien zugespielten "Informationen" zu hinterfragen. Hier also meine Konserve:


Das richtige Mass an Information zu finden und die bewusste Auseinandersetzung  mit ihr ist Sache jedes einzelnen. Aber auch die Medien sind gefordert, im modernen Aufklärungsdiskurs ihre Rolle zu spielen.

Sonntagvormittag. Das Restaurant ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Gäste sitzen über ihre Zeitung gebeugt, nippen an ihrem Kaffee und informieren sich. Es raschelt, draussen die Herbstblätter, drinnen die Zeitungen. Nach einer Woche von „Kurzfutter-Journalismus“ besteht das Bedürfnis nach fundierter Information. Auch bei mir. Wir haben, den Gratiszeitungen und Informationssendungen sei’s gedankt, die ganze Woche über schon erfahren, was in der Welt vor sich geht. Heute, am Sonntag, nehme ich mir Zeit, den Hintergründen auf die Spur zu kommen.

Kant und Genossen
Vielen reicht das Infotainment nicht, welches uns viele Medien, allen voran die Gratiszeitungen, die wie Pilze aus dem Herbstboden spriessen, bescheren. Schliesslich ist es Bürgerpflicht, sich aus verschiedenen Quellen zu informieren, um sich eine umfassende Meinung zu bilden. Wir sind eine aufgeklärte Gesellschaft, nicht wahr?

Natürlich“, würde uns Auguste Compte (1798 - 1865) aus dem Jenseits zurufen, wenn er denn könnte. Und Hegel (1770 – 1831) würde ihm beipflichten. Beide sahen, laut Herbert Schnädelbach in seinem Essay vom 29.11.2003 in der NZZ, die Aufklärung als eine historisch begrenzte Epoche, auf die sie bereits anfangs des 19. Jahrhunderts zurückschauten. Ihr Aufklärungsverständnis bezog sich, wie Kant das bereits formulierte, „vorzüglich auf Religionssachen“. Mit der Französischen Revolution war für sie der Prozess mehrheitlich abgeschlossen.
 Wenn wir vom Aufklärungsverständnis des 18. und 19. Jahrhunderts ausgehen, stimmt das weitgehend. Passen wir jedoch den Aufklärungsbegriff der heutigen Zeit an, muss er neu überdacht werden.
Bereits Compte musste zugestehen, dass er nach dem mystisch-religiösen und dem metaphysischen Stadium der Aufklärung nun das wissenschaftliche erlebte, der gesamte Aufklärungsprozess also doch noch nicht so ganz abgeschlossen war. Dieses wissenschaftliche Stadium sah er aber als Abschluss der Aufklärung an.
Die Wissenschaft wird jedoch, solange es die Menschheit gibt, immer nach neuen Erkenntnissen streben. Somit bleibt auch ein wissenschaftliches Aufklärungsbedürfnis erhalten.
Im Gegensatz zu Kants apolitischer Aufklärung muss heute genau das Gegenteil gefragt sein. Politische Mündigkeit ist die Voraussetzung für das Gelingen unserer direkten Demokratie.

Als Kant die Menschheit aufrief, sich aus ihrer „selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien“, ging er davon aus, dass es nur etwas Mut brauche, sich seines Verstandes zu bedienen. Der Verstand ohne Wissen und Information ist aber gleichviel wert wie eine Säge ohne Holz. Das Werkzeug, soll es einen Zweck haben,  braucht Material zum Bearbeiten.

Die Kanzel als Meinungsplattform
Zur Zeit der Aufklärungsphilosophen im 18. Jahrhundert kam dem Klerus eine wichtige Rolle der Informations- und Meinungsverbreitung zu. In jenen Zeiten, als die Kirchen noch voll waren, konnte von der Kanzel herunter ein grosser Teil der Bevölkerung erreicht werden, damit die Menschen „…in Religionsdingen sich ihres eigenen Verstandes ohne Leitung eines Anderen sicher und gut bedienen …“.

Dieser Auftrag kommt heute den Medien zu. Es wäre vermessen, von Presse und Funk zu verlangen, die Aufklärungsarbeit für uns zu übernehmen. Dazu sind sie gar nicht in der Lage. Das müssen wir schon selber tun. Denn, und da möchte ich Kant und seinen Weggenossen entschieden beipflichten, wir müssen unsere Trägheit überwinden und uns aktiv um unsere Aufklärung bemühen. Nur als mündige Bürger, die sich mit den zentralen Themen unserer Zeit, von Politik über Wissenschaft bis hin zur Wirtschaft, befassen, können wir den Anforderungen unserer modernen Gesellschaft genügen.
Ohne die Auseinandersetzung mit Fragen der Gentechnologie, um ein Beispiel zu nennen, können wir ihre Auswirkungen auf unsere Gesundheit, auf die Ethik, Religion und Politik schlecht einschätzen. Und das müssen wir, wollen wir auch an der Urne ein qualifiziertes Wort mitreden.

Kaffee und Zeitung
Genau hier setzt die Aufgabe der Medien in der Aufklärungsfrage ein. Mit fundierten, mehrsystemrelevanten Beiträgen, Interviews und Kommentaren können sie uns bei der Erlangung politischer Mündigkeit unterstützen. Ohne diese Plattform sind wir nicht in der Lage, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Als Informationsvermittler dienen sie heute der Meinungsbildung, wie dies im 18. Jahrhundert die Kirche tat. Aufklären können sie uns nicht. Das müssen die Menschen, damals wie heute, selber tun. Aber auf ihren Beitrag am Aufklärungsdiskurs, nämlich dem Informieren, können wir nicht verzichten.

Es genügt also nicht, wenn wir uns täglich mit Halbinformationen der Gratispresse oder den durchaus unterhaltenden Infotainment-Shows im Fernsehen überrieseln lassen. Nein, der sonntägliche Gang durch den Novemberregen zum Restaurant mit Kaffee- und Zeitungsangebot lohnt sich durchaus. Nicht nur zum eigenen Vergnügen, sondern auch zum Wohl der Gesellschaft, die ohne mündige, aufgeklärte Bürger ihrer demokratischen Aufgabe nicht gerecht werden kann.

Es lebe das Rauschen der Blätter, drinnen wie draussen!

Freitag, 11. November 2016

Aus dem Kochstudio


 Guten Abend, meine Damen und Herren, schön dass Sie auch heute wieder zugeschaltet sind!
Für heute habe ich mir etwas ganz Spezielles für Sie ausgedacht, die eigene Wahrheits-Suppe.
Im Verlauf der Sendung werden einige von Ihnen merken, dass Sie schon selber die eine oder andere Variante davon ausprobiert haben. Das macht aber nichts, denn die Zutaten variieren je nach Jahreszeit und Anlass und können immer wieder neu zusammengestellt werden.
Ich habe hier die wichtigsten Ingredienzien für die Basis-Suppe bereitgestellt. Beim Nachkochen ist dann Ihre Fantasie gefragt, es soll ja schliesslich Ihr eigenes Süppchen werden.


Zuerst lassen Sie in einer grossen Pfanne 100 g Behauptung schmelzen, während dem Sie eine grosse Wahrheit schälen, halbieren und in kleine Würfel schneiden. Diese geben sie nun in die heisse Behauptung und lassen sie auf reduziertem Feuer so lange anbraten, bis sie braun und durchsichtig sind.

In einer Schüssel habe ich verschiedene Ängste vorbereitet, geputzt, geschält und in Scheiben geschnitten. Die kommen jetzt zu der Behauptung und der Wahrheit in die Pfanne und werden zwei Minuten lang mitgedünstet.

Das Ganze wird mit 1 ½ Liter Emotion abgelöscht und eine Stunde auf kleinem Feuer gekocht. Zum Nachsalzen nehmen Sie ein bis zwei Prisen Statistik, notfalls auch erfundene.

Wenn alles weich und gar ist, nehmen Sie die Pfanne vom Herd und schmecken die Suppe mit etwas Häme ab, um Blähungen vorzubeugen. Mit dem Mixer pürieren Sie nun alles, damit die Suppe sämig und homogen wird. 
Angerichtet wird sie in vorgeheizten Tellern. Als Dekoration geben Sie einen Tupfen Überheblichkeit in die Mitte, das verfeinert den Geschmack erheblich.

Die Suppe kräftigt die PEGIDA-Teilnehmer vor der Montags-Demo, inspiriert jene, die sich für eine der braun angehauchten Parteien Europas ins Zeug legen und wenn Sie genügend davon essen, können Sie sogar amerikanischer Präsident werden.





Viel Spass beim Nachkochen und guten Appetit!

Dienstag, 13. September 2016

Von Teekannen und anderen Märchen

Zwischen Erde und Mars kreist eine Teekanne um die Sonne, eine aus Porzellan und bis obenhin gefüllt. Was, das glaubst du nicht? Ich auch nicht. Die Existenz eines solchen Gefässes kann auch mit dem stärksten Teleskop nicht nachgewiesen werden. Genauso wenig wie das Gegenteil.



Nehmen wir einmal an, mein Nachbar glaubt seit seiner Kindheit an diese Teekanne. Schon seine Eltern haben ihm davon erzählt und beide waren selber von ihrer Existenz überzeugt. Jeden Sonntag spricht mein Nachbar mit seiner Teekanne und trinkt einen schluck Tee zu ihren Ehren. Einen Krug kauft er sich aber nicht, denn von der Teekanne soll man sich kein Bildnis machen. Du ahnst es schon, mein Nachbar hat eine Schraube locker. Oder hat er einfach nur seine eigene Religion?

Das Gedankenexperiment mit der Teekanne stammt  aus einem Aufsatz des englischen Mathematikers und Philosophen Bertrand Russell (deswegen heisst es „Russell’s tea-pot“) aus dem Jahr 1952. Mit dieser Geschichte will er verdeutlichen, dass es an den Gläubigen liegt, einen Gottesbeweis zu erbringen und nicht an den Zweiflern, seine Nichtexistenz zu belegen.  

Milliarden von Menschen glauben an einen Gott, den der Duden als
höchstes übernatürliches Wesen, das als Schöpfer Ursache allen Geschehens in der Natur ist, das Schicksal der Menschen lenkt, Richter über ihr sittliches Verhalten und ihr Heilsbringer ist
definiert. Niemand kann die Existenz eines solchen Wesens beweisen und doch sind Generationen von Menschen im Glauben an einen Gott aufgewachsen, haben in seinem Namen Kriege geführt, Andersdenkende gefoltert und als Ketzer verbrannt und unzählige Gläubige zu Sündern gemacht, wenn sie von den Regeln der jeweiligen Religion abwichen. In unseren Breitengraden ist der Glaube in grossen Teilen einer „Ich-Weiss-Es Nicht“-Attitüde gewichen. Es sind die Agnostiker, die zwar nicht mehr buchstabengetreu nach der Bibel leben, aber auch nicht ausschliessen, dass es irgend eine höhere Macht gibt, die alles erschaffen hat. Wer, bitte schön, hat dann diese höhere Macht erschaffen? 
Immer wieder ist mir zu Ohren gekommen, die Natur sei doch Gott. Der Duden definiert Natur allerdings ganz anders, nämlich unter anderem als
alles, was an organischen und anorganischen Erscheinungen ohne Zutun des Menschen existiert oder sich entwickelt.

Der Agnostiker sagt also: Ich weiss es nicht. Tatsächlich wissen wir nicht, ob ein Teekessel um die Sonne kreist oder nicht. Jeder mit klarem Verstand würden das aber als Unsinn abtun. Weshalb zieht dann ein Christ die unbefleckte Empfängnis in Betracht, oder die Himmelfahrt Jesu? Wie können vernünftige, gebildete Menschen an die Existenz des Teufels glauben und daran, dass die Guten in den Himmel kommen und die Bösen in die Hölle? Mir scheint dies alles ebenso unwahrscheinlich wie die Teekanne im All. Und doch gibt es viele, die sagen: Ich weiss es nicht.


Während ich dies hier aufschreibe, dreht die Teekanne unbeirrt ihre Bahn um die Sonne und mir bleibt nur eins: abwarten und Tee trinken, bis sich jemand die Mühe nimmt, diesen Beitrag zu kommentieren.

Freitag, 22. Juli 2016

Leere Flächen

Und schon hat sie mich im Griff, die Angst vor dem leeren Blatt. Als Blogger-Greenhorn stelle ich mir natürlich die Frage, ob sich jemand für meinen täglichen Kleinkram, meine Meinungen und philosophischen Betrachtungen interessiert. 
Aber warum eigentlich nicht? Wenn ich sehe, was manchmal auf Facebook gepostet, kommentiert und geliked wird, hat auch ein Blog seine Legitimation.
Die Frage bleibt aber: Womit beginne ich?

Vielleicht mit der Angst vor der leeren Leinwand. Ich versuche mich gerade zum ersten Mal als bildende Künstlerin. Und das kam so.

Die Kusine meines Vaters und ihr Mann Roli veranstalten jedes Jahr einen Wettbewerb unter ihren Verwandten und Bekannten. Letztes Jahr ging es darum, die Anzahl Korkzapfen in einer grossen, gläsernen Vase zu schätzen. Jedesmal, wenn Besuch kam, durften die Gäste ihre Schätzung abgeben. Roli notierte dann die Zahl auf einem Blatt und am Ende des Jahres zählte er die Zapfen. Die drei Personen, die der tatsächlichen Zahl am nächsten kamen, wurden zu einem Essen eingeladen. Zu meiner Freude war ich als Dritte auch dabei.

Dieses Jahr geht es nun darum, einen Poster mit den Massen 80cmx110cm zu gestalten. So ein Blatt ist grösser als man denkt, wenn es so leer vor einem auf dem Tisch liegt. Mir war von Anfang an klar, dass ich keine Collage machen würde, denn eine solche haben anscheinend viele angekündigt. Zudem musste ich berücksichtigen, dass ich zwei linke Hände habe und im Zeichnen völlig talentfrei bin. Also etwas Abstraktes. In der Papeterie kaufte ich Modellierpaste, um dem Oeuvre eine Struktur zu geben, dazu Spraydosen und Acryl-Farbe. Zuhause sass ich lange vor dem leeren Blatt, legte es wieder weg, nur um es tags darauf wieder hervorzukramen. Mutig griff ich in die Modelliermasse und verpasste dem Halbkarton ein Relief, einfach so aus dem Bauch heraus. Das Resultat ähnelte in bisschen einem Strichmännchen. Mit etwas Fantasie konnte ich darin auch einen kargen Baum oder eine Spinne erkennen. Egal, es würde ja noch die Farbe dazukommen. 

Also auf den Balkon damit, die Fensterläden schliessen, den Karton auf die Hinterseite der Fensterläden nageln und los sprayen. Was ich nicht in Betracht gezogen hatte war die glatte Oberfläche des Kartons, der eigentlich für Siebdruck gedacht war. Die Farbe begann in Rinnsalen das Blatt hinunter zu fliessen, was ich dann letztlich als interessantes Gestaltungs-Element akzeptierte. Am nächsten Tag kam noch etwas Rot und Dunkelgrün auf das hellgrüne Blatt und das Resultat war, nun ja, nicht der ganz grosse Wurf, den ich mir gewünscht hatte.

























Zurück zur Papeterie, ein neues Blatt kaufen, Stunden davor sitzen und auf Inspiration warten...

Hier das Resultat Nr. 2:






































Mittlerweile ist auch noch ein drittes Plakat entstanden, und obwohl es künstlerisch wertvollere Bilder gibt als meine, so habe ich doch die leeren Flächen gestaltet und Spass gehabt dabei.

Auch die leere Blog-Seite ist hiermit gefüllt, ein Anfang ist gemacht.




Und die Moral von der Geschicht': 
Erschrick vor leeren Flächen nicht!